Elena Cheah – Die Kraft der Musik

Eindruck vor dem Lesen und Erwartungen

Dieses Buch hat den Untertitel „Das West-Eastern Divan Orchestra“. Wem das nichts sagt, sollte es auf jeden Fall googeln. Es ist ein Orchester, das aus Musikern aus verschiedenen Ländern des Nahen Ostens besteht. Daniel Barenboim und Edward Said riefen dieses zunächst kulturelle Experiment 1999 ins Leben. Hier spielen Musiker zusammen, die aus sonst teilweise verfeindeten Ländern kommen, unterschiedliche Religionen, unterschiedliche Kulturen, das alles trifft auf einander.

Einen wirklichen Klappentext gibt es nicht. Aber das braucht das Buch auch nicht, wenn einem das West-Eastern Divan Orchestra ein Begriff ist. Aber auf dem Buch stehen zwei Zitate, die ich nicht vorenthalten möchte:

„Musik sei unpolitisch? Das kann nach der Lektüre dieses Buches niemand sagen. Seit 1999 spielen Musiker aus verfeindeten Ländern zusammen in diesem Orchester, und wenn man ihre Biografien liest, weiß man, dass es immer einen Weg zueinander gibt – trotz allem. Der tiefe Riss, der durch den Nahen Osten geht, wird durch die Kraft der Musik überbrückt – was für ein Buch der Hoffnung!“ – Elke Heidenreich

„Es ist mein ehrlicher Wunsch, dass diese so persönlichen Berichte den Geist und das Herz aller öffnen, die im Nahen Osten leben.“ – Daniel Barenboim

Erwartungen? Ich lasse mich überraschen. Es wird um das Orchester gehen. Wie die Musiker zusammen fanden, um die Musiker und deren Motivation. Wie genau es aufgebaut sein wird, weiß ich noch nicht. Aber ich bin gespannt.

Rezension

4,75 Sterne

Dieses Buch kann man nicht so leicht bewerten wie die anderen, das werdet ihr sicherlich noch merken. Es ist kein Roman, es hat keine durchgehende Handlung. Und doch erzählt es eine Geschichte. Oder mehrere. Je nachdem, wie man es sehen möchte. Es hat mich auf jeden Fall zutiefst beeindruckt. Und es regt einen sehr zum Nachdenken an.

Handlung  ★★★★★

Dieses Buch besteht aus vielen einzelnen Geschichten, manche spannender, manche weniger spannend. Aber doch sind sie alle sehr interessant. Das mag wie ein Widerspruch klingen „wenig spannend aber sehr interessant“. Ist es aber nicht. Man lernt viel über andere Kulturen und Gesellschaften, über andere Denkweisen. Immer wieder gibt es Dinge, die einen überraschen. Dinge, die man sich als deutscher Staatsbürger, als Angehöriger der westlichen Welt und Kultur kaum vorstellen kann. Für mich gehört zum Beispiel klassische Musik zum Alltag. Menschen hier wissen was das ist. In manchen der in dem Buch genannten Länder kennt man diese Art von Musik hingegen kaum, lehnt sie teilweise sogar ab. Genauso ist es mit gewissen Einstellungen und Denkweisen, vor allem was den Nahostkonflikt betrifft. Man lernt völlig neue Sichtweisen kennen. Dieses Buch und die einzelnen Geschichten sind auf jeden Fall sehr beeindruckend und regen zum Nachdenken an.

Charaktere ★★★★★

In diesem Buch kommen sehr unterschiedliche Mitglieder des Orchesters zu Wort und so sind die Charaktere alle sehr unterschiedlich. Sie haben unterschiedliche kulturelle Hintergründe, kommen aus unterschiedlichen Ländern, haben unterschiedliche Einstellungen gegenüber des Nahostkonflikts. Die Einstellungen gegenüber der gegenseitigen Begegnung sind ebenfalls sehr unterschiedlich. Und genau diese Vielfalt macht das Buch so interessant.

Setting ★★★★★

Je nachdem wer gerade erzählt, ist das Setting sehr unterschiedlich. Man erfährt etwas über die Herkunftsländer einzelner Musiker, vieles spielt sich aber auch direkt während des Workshops ab. Ich kann mich nur wiederholen: Interessant.

Schreibstil ★★★★

Der Stil ist das einzige, was mir nicht soo zusagte. Nicht, dass es schlecht geschrieben wäre. Aber eben auch nicht so herausragend.

Meinung nach dem Lesen

Vorher dachte ich, mir wäre der Nahostkonflikt klar. Die Hintergründe, die Denkweisen und so weiter. Jetzt weiß ich, dass das nicht der Fall war. Wenn es um den Konflikt in Nahost geht, bin ich nicht sicher auf welcher Seite ich stehe. Beide Seiten tun Unrecht, auf beiden Seiten leben Menschen. Unschuldige Menschen, die leiden müssen. Ich selbst habe einen Austausch nach Israel gemacht, was mich sehr beeindruckt hat. Dort habe ich aber von dem Konflikt nicht viel mitbekommen. Ja, ich habe dort die Zäune gesehen. Viel Militär, was mich schon einschüchterte. Und auch zerschossene Autos am Straßenrand. Aber unsicher habe ich mich nie gefühlt. Ich habe die Menschen dort als sehr liebenswürdig und offen kennengelernt und der Konflikt kam nie zur Sprache.

Dieses Buch ist wahnsinnig interessant. Es zeigt einem als Außenstehenden eine ganz andere Seite des Nahostkonflikts. In diesem Buch kommen verschiedene Mitglieder des West-Eastern Divan Orchestras zu Wort. Es ist sehr spannend, die unterschiedlichen Hintergründe und Denkweisen zu lesen und auch zu sehen, wie sich die Personen mit dem Workshop verändert haben.

Als ich das Buch begann, dachte ich, dass die Absicht hinter dem Projekt war, dass Musiker aus eigentlich verfeindeten Ländern Freunde werden. Dass sie sich einfach verstehen sollten. Das war auch durchaus einer der Gedanken dahinter. Aber was mich besonders überrascht hat, obwohl es im Nachhinein so klar ist: Edward Said und Daniel Barenboim hatten nie die Illusion, dass dieser Workshop einfach so ohne Konflikte stattfinden könnte. Sie wussten, dass es diese geben würde und sie haben es darauf angelegt, dass über die Konflikte auch gesprochen/ diskutiert wurde.

Sehr beeindruckend finde ich auch das Engagement der Profimusiker, die als Mentoren beim Workshop mithalfen/helfen. Die bereit waren, Musiker des Divan Orchestras kostenlos auf Aufnahmeprüfungen vorzubereiten, sodass sie in einem Land wie Deutschland studieren konnten. Oder Menschen Kai Petry, der einen der Musiker einige Jahre kostenlos in seinem Nobelhotel wohnen lies, da dieser für die Lebenshaltungskosten für sein Studium in Deutschland nicht hätte aufkommen können.

Dieses Buch ist voll mit sehr beeindruckenden Persönlichkeiten und Geschichten. Ich kann es sehr empfehlen.

Share

Kommentar verfassen